Ensemble Orfei

Bulgarische Volkslieder

Die bulgarischen Volkslieder sind erfrischend unkompliziert: Erntelieder beschreiben die Ernte, Liebeslieder besingen die Liebe, in Krankheitsliedern wird ordentlich gejammert, und Necklieder machen sich lustig über faule Jungs und Mädels. Das alles ohne versteckte Botschaften, immer offen und gerade heraus. Es gibt Tausende ein- und mehrstimmige Lieder für jede Gelegenheit, und nach der Gelegenheit richten sich Text und Melodie. Volkslieder eines selbstbewussten, fleißigen Volkes, bodenständig und originell.

Das Ensemble Orfei und seine Lieder

Girl Group extra für das Heimatlieder-Projekt gegründet

Eigens für unseren ersten Auftritt im Deutschen Theater Augsburg im Juli 2014 stellte die studierte Musikerin Alexandrina Simeon das Ensemble Orfei zusammen. Sie war sehr begeistert von unserem Projekt und wollte gern einen bulgarischen Beitrag dazu leisten. Ihr Quartett besteht neben ihr aus Stela Blagova, Vanya Latschkova und Iva Moneva. Eine ganz typische Zusammenstellung, denn in der bulgarischen Folklore singen eigentlich meistens die Frauen. Die Liedauswahl kam praktisch von allein – die Sängerinnen nahmen einfach Lieder, die sie kannten, weil sie mit ihnen aufgewachsen sind, und sie singen sie mit viel Vergnügen und großer Leidenschaft.

1. Dilmano, Dilbero 

Dilmano, Dilbero, Dilmano, Dilbero, kashi mi kak se sadi pipero
Dilmano, Dilbero, Dilmano, Dilbero, kashi mi kak se sadi pipero
Dilmano, Dilbero, Dilmano, Dilbero kashi mi kak se sadi pipero, pipero

Da tsaftne, da varzhe, da tsaftne, da varzhe
da beresh, beresh, beresh kak sakash
Da beresh, beresh, beresh kak sakash
Da tsaftne, da varzhe, da tsaftne, da varzhe
da beresh, beresh, beresh kak sakash
Da beresh, beresh, beresh kak sakash

Dilmano, Dilbero (frei übersetzt)

Dilmana, Dilbera, Dilmana, Dilbera (Name einer Frau), 
sag mir, wie baue ich Paprika an.
„Sie soll erblühen, sie soll Wurzeln schlagen, 
so dass du ernten kannst, so viel du willst.“

Dilmana, Dilbera, Dilmana, Dilbera, 
sag mir: wie baue ich Paprika an.

Die Lieder: so richtig aus dem wirklichen Leben

Das eher ruhige Liedchen Slunchice milo mamino (Sonne, meine Liebe) kommt aus der historischen Region Dobrudscha, also dem Grenzgebiet zwischen dem heutigen Südostrumänien und Nordostbulgarien. Darin geht es geht um den Jungen Peio, der krank im Bett liegt und nun aber endlich einmal aufstehen soll, um die Tanzgruppe anzuführen.

Dilmano, Dilbero ist ein lebhaftes Volkslied aus der Region der Šopluk (Шопи, Schopen) rund um Sofia. Es geht um den Paprika-Anbau. Ein wichtiges Thema in Bulgarien, denn alle sind sehr stolz auf ihr hervorragendes Obst und Gemüse. Hier fragt eine Frau das Mädchen Dilmana, wie sie Paprika anbaut. Unsere Expertin erklärt ihr, dass es ganz einfach ist: Man müsse nur gut säen, dann blühe der Paprika, schlage Wurzeln und könne dann in großen Mengen geerntet werden! Na also. 

Das Typische am bulgarischen Volkslied: Alles.

Das bulgarische Liedgut ist einfach sortiert. Gesungen wird nach Anlass (zum Beispiel Hochzeit, Weihnachten, Heuernte), und entsprechend dieser Grundstimmung gestalten sich Text und Melodie. Es gibt unendliche Mengen von Liedern, und die kommen zu Stande, weil es immer schon ein beliebtes Vergnügen war, bestehende Melodien zu nehmen und eigene Texte darauf zu schreiben, oder vorhandene Texte abzuändern. 

Gattungen der bulgarischen Volkslieder

Die wichtigsten Gattungen, in die man die bulgarischen Volkslieder einordnen kann, werden wir euch im Folgenden auflisten. Da gibt es die Hochzeitslieder – und die sind nicht immer lustig!! Im Gegenteil, es gibt auch traurige Lieder der Braut, die ihre geliebte Familie verlassen und in die Fremde ziehen muss, heraus aus dem vertrauten Heim und dem schönen Garten. Fröhlicher geht es wiederum bei den Tafelhochzeitsliedern zu. Die werden nämlich beim Überreichen der Geschenke gesungen. Lieder gegen Naturgewalten (Dürre, Überschwemmung) sind auch sehr weit verbreitet, immerhin ist Bulgarien immer schon eine stark landwirtschaftlich geprägte Nation gewesen. So ist es auch kein Wunder, dass es massenhaft Arbeitslieder gibt – für nahezu jede Tätigkeit.

Heu ernten, Tabak fädeln, Tabak rollen, Spinnen, Mais säubern, und so weiter. Daran schließen sich Lieder für bestimmte Zeiten an: Lieder für morgens, wenn die Schnitter zum Feld gehen etwa. Die Lieder unterstützen so die fleißigen Bulgaren bei ihrer meist sehr bodenständigen Arbeit. Wer sich drückt, wird extra besungen: in Neckliedern macht man sich lustig über faule Jungs und Mädchen. Weihnachtslieder erklären sich von selbst, Lieder gegen Laster wenden sich an Taugenichtse und Trinker. Liebeslieder – geschenkt, Lieder aus dem Familienleben – auch. Mythische Lieder sind ebenfalls reichlich überliefert, hochpoetisch und fantastisch besingen sie übernatürliche Kräfte, Drachen, Windsbräute, Elfen, Nixen, die Sonne. Heldenlieder feiern die starken, listigen Männer der bulgarischen Geschichte, vor allem, wenn es um die Besetzung durch die Türken geht; genau wie in den geschichtlichen Volksliedern, die wichtige Ereignisse (Befreiungskämpfe) noch einmal in aller Ausführlichkeit mit viel Liebe zum Detail darstellen, wobei der bulgarische Kampfgeist besonders im Fokus steht.

Wer kein Feldherr war, war vielleicht ein Heiducke, also jemand wie du und ich, der Heldentaten vollbracht hat. In Liedern über Frauen kommt meistens die Schwiegermutter gar nicht gut weg. Besonders lustig dagegen sind Tafellieder, die bei allen möglichen Vergnügungen gesungen werden, so zum Beispiel bei Volksbelustigungen, festlichen Tafeln, beim Hochzeitsschmaus und so weiter. Die meisten bulgarischen Volkslieder sind Reigenvolkslieder, die auch getanzt werden. Auch hier ist alles gut sortiert: ein Pravo ist ein einfacher Reigen, ein Krivo ein gewundener. Trite Kraka sind drei Schritte, und dann gibt es noch das Gürtelfassen, Na Pojas. Eine eigene Kategorie bilden auch die Berufereigen – Töpferreigen und Metzgerreigen beispielsweise. 

Das Liedmaß: unkompliziert 

Das Liedmaß ist meistens unkompliziert und beruht auf Silbenzählung. Am häufigsten ist der 8silbige Vers zu finden, der asymmetrisch in 5+3 oder 3+5 gesungen wird – seltener 4+4. In Westbulgarien gibt es auch 10silbige Verse, wie 6+4. Dazu kommen noch die Refrains. 

Unendliche Vielfalt durch großen Spieltrieb

Die bulgarischen Volsklieder scheinen wohlsortiert und solide gemacht, und dennoch stecken sie voller Überraschungen. Sie beschreiben das Leben in all seinen Facetten, dabei nehmen sie kein Blatt vor den Mund und lassen einfach alles raus. Gab es früher noch Liedpoeten, die sich das alles ausdachten, ist es ein beliebter Volkssport, selbst Lieder zu erfinden oder neue Texte auf alte Melodien zu schreiben. Dieser verspielte, offene und lebhafte Umgang mit der traditionellen Musik führt zu einer riesigen Vielfalt, in die wir mit dem Heimatlieder-Projekt einen kleinen Einblick liefern.

Der Gesang

Das Ensemble Orfei singt zweistimmig und ist damit ganz klassisch unterwegs. Drei- und Vierstimmigkeit sind nur selten anzutreffen, wären aber ein Ziel von Alexandrina, wenn das Ensemble Orfei größer würde. Die Zweistimmigkeit von Volksliedern trifft man in Bulgarien vielerorts, zum Beispiel in der Gegend um Pirin, in Teilen der Rhodopen, in den Bezirken Dimitrov, Pernik und Pasardshik. Um Pasardshik herum singt man vereinzelt auch einstimmig, aber eben nur vereinzelt. Erntelieder werden mit großer Sicherheit meistens zweistimmig gesungen. Diese Form des zweistimmigen Singens reicht übrigens bis nach Mazedonien hinein.

Zweistimmige Lieder haben üblicherweise einen engen Tonumfang (für Fachleute: Quarte oder Quinte). Sie beginnen und enden meistens unisono. Es gibt eine erste Stimme, die sogenannte “ausrufende” oder “sich erhebende” Stimme, das ist die Melodie, und die zweite, abhängige Stimme ergänzt mit einem Grundmodus, zu hören auch beim Ensemble Orfei. Bei lebhafteren Liedern hat die zweite Stimme ebenfalls größeren Spielraum. Die Dissonanzintervalle in diesen zweistimmigen Liedern klingen manchmal gewöhnungsbedürftig, wenn nicht sogar falsch, weil sie nicht nach den klassischen Prinzipien aufgelöst werden. Oft wird in zweistimmigen Liedern auch gekämpft: die Sängerinnen der zweiten Stimme versuchen, die erste Stimme zu übertrumpfen, was nicht so schwer ist, weil die erste Stimme meistens allein gegen mehrere Zweitstimmen ansingen muss.

Auch hier sieht man: gesungen wird aus Spaß an der Freud. Natürlich gäbe es zu dieser Art von Gesang aus musikwissenschaftlicher Sicht noch viel mehr zu sagen, vor allem, weil es in den verschiedenen Regionen wiederum so viele Unterschiede gibt, aber das führt hier doch ein bisschen zu weit, und deshalb empfehlen wir euch an dieser Stelle das Büchlein “Bulgarische Volksmusik” von Nikolai Kaufmann, das erschöpfend informiert über unvollständige pentatonische Modi und asymmetrische Taktarten, mit reichlich Notenbeispielen und Illustrationen.


Weiterlesen:

Kaufmann, Nikolai: Bulgarische Volksmusik, Slavena 2005

Kaufman, Nikolai: 1500 bulgarische alte Lieder (Drei Bände) Slavena publ., 2002

Kaufman, Nikolai: Kaufman, D.: Lieder bei Begräbnissen und anderen Trauerzeremonien in Bulgarien, Verlag der bulgarischen Akademie der Wissenschaften, 1988

Nikolai Kaufmann ist ein bulgarischer Musikethnologe, der eine beachtliche Sammlung an Volksliedern erstellt hat und die Zeitschrift “Bulgarische Folklore” mitbegründet hat. 


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